Liebe Trierer*innen, liebe Mitstreiter*innen, liebe Menschen, die jeden Tag kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen,
ich bin Mohamed Kushari und möchte heute zuerst über meine Morgenroutine als stinknormaler Deutscher mit Migrationshintergrund sprechen: Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee und währenddessen kommt mir eine Idee, wie ich meinen Beitrag zum Stadtbild leisten kann. Ich stehe vor dem Spiegel und übe das, kämme meine schwarzen Haare, creme mein Gesicht ein und sage mir ins Spiegelbild: Heute schaffst du es, zur Arbeit zu gehen, ohne an Baustellen vorbeizugehen! Doch schaffe ich das leider oft nicht, obwohl meine Wohnung nur 3 Min Fuß Entfernung von meiner Arbeit ist.
Ich möchte Danke sagen. Denn jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, ich schaffe es nicht mehr - ich packe endlich meine Sachen und haue ab, sehe ich euch und kriege wieder den Mut weiter zu kämpfen.
Ich rede heute im Namen vom Bunten Trier und versuche mit euch ein bisschen die Situation zu besprechen.
Als Friedrich Merz in seinem Kommentar das Wort „Stadtbild“ verwendete, dachte ich kurz: Gleich kommt etwas zu Investitionen in deutschen Städten und Kommunen, damit es endlich aufhört, dass Baustellen jahrelang die Städte lahm legen. Ich dachte, es kommt etwas mit der Stärkung sozialer Arbeit oder der Sanierung von Jugendeinrichtungen – vielleicht doch irgendwas zur Begrünung deutscher Städte. Aber nein! Es musste wieder dasselbe sein! Ein weiterer Rutsch nach rechts.
Für die, die es nicht wissen: Der Begriff „Stadtbild“ ist ein giftiger Code der Rechten. Es ist die Chiffre einer politischen Richtung, die ihre Angst ethnisch markiert. Sie zeigt mit dem Finger auf den vermeintlich fremden Mann, um die eigene Schuld zu vertuschen! Es ist ein rhetorischer Trick, der uns spalten soll, damit wir uns nicht gegen die wahren Verursacher dieser Krise wenden! Diese Denkweise und die Propaganda der Überfremdung war bei dem Täter von Hanau, der 9 junge Menschen vom Leben gerissen hat. Wer es nicht glaubt, soll das Testament des Täters lesen.
Was mich wirklich getroffen hat, war nicht die Aussage von Merz und wie plump sie war, sondern die Reaktion von Rayyan Alshebl – dem Bürgermeister von [Name der Gemeinde/Stadt einfügen] – einem syrisch-deutschen und übrigens immer noch grünen Politiker, in dem wir alle vor ein paar Jahren die tolle Integration und symbolisch die offene Gesellschaft in Deutschland sahen.
Herr Alshebl verteidigte die Aussage von Herrn Merz. Er sagte nämlich und ich zitiere: „Wer das Problem grundsätzlich in Frage stellt und darauf beharrt, eine Rassismusdebatte daraus zu machen, will sich entweder profilieren oder er ist dumm. “ Im Interview mit der Welt spricht er noch über „Männer, die grundsätzliche Bereitschaft zur Gewalt zeigen“. Doch sein Gewissenüberwältigt ihn nach dieser Aussage, und er erkennt selbst indirekt den Kern des Problems: Die jungen Menschen sind Opfer. Ja, liebe Freundinnen und Freunde: Hören wir endlich auf, immer die gleichen Sündenböcke für unser Versagen zu suchen und die Ursachen des eigentlichen Problems suchen!
Wer sind diese wahren Verursacher? Es sind diejenigen, die uns jetzt erzählen, sie hätten plötzlich Angst um das Stadtbild!
Ich frage Sie: Wer hat die Kommunen jahrzehntelang finanziell ausgehungert? Wer hat die Gestaltungsmöglichkeiten in unseren Städten der hohen Verschuldung überlassen? Wer hat Millionenbeträge in jedem Bereich unseres sozialen und kulturellen Lebens gespart? Wer hat die Jugend zwei Jahrzehnte lang allein gelassen? Die Debatten werden immer brauner und brauner, der Hass wird immer größer, und die Ablenkung von den eigentlichen Problemen läuft einwandfrei!
Wir haben es Schwarz auf Weiß: Allein in Berlin wurden der Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit und der politischen Bildung fast 50 Millionen Euro gestrichen! Geschlossene Jugendhäuser! Der Posten, um unsere maroden Jugendclubs – die sicheren Anlaufstellen für die Kinder und Jugendlichen – zu sanieren, wurde ersatzlos gestrichen!
Genau das Gleiche kennen wir in Trier doch auch! Das ExHaus wird als Folge des jahrelangen Sanierungsstaus geschlossen. Der Staat greift da nicht ein. Es brauchte mutige Bürger*innen, die Nein sagen und selbst versuchen, das Haus mit seiner alten Tradition der offenen Jugendarbeit wiederherzustellen.
Wenn der Staat die soziale Infrastruktur abbaut, wenn er die niedrigschwellige Sozialarbeit streicht, dann verlagert sich die Verzweiflung der Menschen und vor allem der jungen Menschen auf die Straße! Das Problem in deutschen Städten und Kommunen ist nicht das Problem der Migration, sondern die Konsequenz der Sparpolitik der letzte Regierungen!!
Herr Merz instrumentalisiert die Angst von Frauen im öffentlichen Raum – Merz sagt: Fragt eure Töchter – während die Statistik schreit, wo die Gefahr wirklich lauert: im eigenen Haus!
Hören Sie genau hin: Die Häusliche Gewalt in Deutschland ist im letzten Jahr um 6,5 Prozent gestiegen! Über 80 Prozent aller Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen! Jede Frau in Deutschland ist durch ihren Partner, ihren Ex-Partner oder ein Familienmitglied stärker gefährdet, als durch den ethnisch markierten Mann, den Herrn Merz als Feindbild darstellt.
Die größte Bedrohung für Frauen in diesem Land ist nicht das Stadtbild, sondern das patriarchale System, das Gewalt im Privaten duldet!
Und was tut die Bundesregierung? Sie spart bei den Frauenhäusern! Sie spart bei den Beratungsstellen! Sie spart bei der Täterarbeit! Das ist der eigentliche Verrat an denOpfern! Das ist politische Ignoranz gegenüber der größten Sicherheitslücke dieses Landes!
Herr Merz, der 1997 gegen die Aufnahme der Vergewaltigung in der Ehe in das Strafgesetzbuch abgestimmt hat, will uns erzählen, dass die Gewalt gegen Frauen auf offenen Straßen von „Menschen“, die wie ich aussehen, verursacht wird? Ja,ich weiß, er hat seinen Standpunkt nach etwa 15 Jahren revidiert. Sein Reflexionsvermögen ist zwar da, dauert nur ein bisschen länger als ein paar Tage.
Wir lassen uns nicht spalten! Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen – nicht Jung gegen Alt, nicht Deutsch mit oder ohne Migrationshintergrund! Wir müssen die Lüge des Stadtbilds als das entlarven, was sie wirklich ist: Die Ablenkung des Versagens der letzten Bundesregierungen, die Angst vor der sozialen Frage hat!
Stehen wir zusammen! Lassen wir uns nicht von der Rhetorik der Spaltung beirren! Kämpfen wir gemeinsam für eine Gesellschaft, in der niemand auf der Strecke bleibt und die strukturelle Gewalt beendet wird!
Vielen Dank.



