“Die (...) Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.”
(BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 -, Rn. 95)
Seit einigen Wochen ist der Koalitionsvertrag des selbsterklärten “Zukunftsbündnisses” im Stadtrat aus CDU, FDP und Grünen der Öffentlichkeit zugänglich. https://www.zukunftsbuendnis-trier.de/ Über vieles in diesem Koalitionsvertrag kann man streiten, doch es geht heute um einen spezifischen Absatz. Nachdem bereits die Ampel aus SPD, Grünen und CDU im Frühjahr im Stadtrat einen Prüfauftrag dazu beschlossen hatte, steht nun auf Seite 49 des “Zukunftsbündnisses”: “Die Landesregierung entwickelt aktuell im Ministerium für Integration eine Bezahlkartenlösung für Rheinland-Pfalz. Sobald diese abgestimmt für das Land vorliegt, soll die Lösung auch in Trier umgesetzt werden. (...)”.
Wir halten diese Zielsetzung für grundfalsch und sind zutiefst enttäuscht von dieser Entscheidung der neuen Stadtratsmehrheit.
Wir wollen deshalb dagegen halten und Begründen hier warum:
Die Bezahlkarte ist unserer Meinung nach populistische, unsachliche Symbolpolitik. Sie ist ein Diskriminierungsinstrument, mit dem
- der Vorrang von Sachleistungen statt Bargeld zementiert werden soll.
- Überweisungen und Lastschriften eingeschränkt / ausgeschlossen werden können. - Menschen der Bargeldbetrag auf ein Minimum gekürzt werden soll,
- die Auswahl der Geschäfte beschränkt und - der Einkauf regional begrenzt werden kann.
Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folgt einer rassistischen Kampagne. Die Aussage, Geflüchtete würden wegen der besseren Sozialleistungen hierzulande fliehen, widerspricht jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Mit einer Bezahlkarte wird das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum weiter unterschritten, das schon jetzt für Geflüchtete um fast 20% unter dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum liegt. Die ehemalige Ampel-Regierung hatte angesichts dieses Verfassungsbruchs noch angekündigt, dass sie „das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln“ werde. Aber davon ist nichts mehr zu hören.
Gründe, warum pauschal allen Asylsuchenden diese Bestrafung zugefügt wird, obwohl sie nichts Unanständiges getan haben, sucht man vergeblich. Dass durch die Karte, durch pauschale Beschränkungen des Bargelds Verwaltungshandeln erleichtert werden soll ist eine Behauptung, die dank erster Gerichtsurteile widerlegt wurde, die diese Maßnahme für unzulässig erklärt haben. Auch aus der Trierer Stadtverwaltung gibt es Aussagen, dass die Bezahlkarte hier vor Ort vorraussichtlich weder Arbeitszeit, noch Kosten einspare, im Gegenteil.
Ein weiteres Argument ist, dass man verhindern wolle, dass Sozialleistungen ins Ausland überwiesen werden. Warum es jetzt aber verwerflich sein soll, wenn ein*e Asylbewerber*in
von dem mickrigen Geld, dass er*sie bekommt, ein paar Euros absparen kann, um sie zum Beispiel den Geschwistern oder der kranken Oma in der Heimat zu schicken, konnte uns bisher noch niemand erklären.
Übrig bleibt somit nur ein illegitimes Ziel: Menschen, die nichts verbrochen haben, soll das Leben so schwer gemacht werden, dass sie Deutschland schnellstmöglich wieder verlassen. Rausekeln würden viele von uns sagen. Verjagen. Menschen schlecht behandeln als neue Maxime demokratischer Politik. Wie konnten wir nur zu diesem enttäuschenden Punkt kommen?
Vor gerade mal 12 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil zum Umgang mit Asylbewerberleistungen verfasst, dass angesichts der Härte und Eiseskälte des Tons vieler Entscheidungsträger*innen in der Asyldebatte mittlerweile wohl als linksradikal diffamiert würde. Wir zitieren zwei zentrale Passagen, die grundsätzliche Bedenken bezüglich der Intentionen hinter der Bezahlkarte aufwerfen:
“Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigte es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125, 175 <253>). Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten (vgl. Rothkegel, ZAR 2010, S. 373 <374>). Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.
Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren <13. Ausschuss> vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13 f.). Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.”
Doch genau das ist, was hier versucht wird: Demokratische Politikerinnen und Politiker überbieten sich gegenseitig mit ihren Versuchen, wer die feindseligere Atmosphäre für Schutzsuchende schaffen kann. Längst wird akzeptiert, dass Asylsuchende wie Kriminelle behandelt werden. Jahrelange Rhetorik über “irreguläre Migration”, “Sozialschmarotzer”, “Sozialtourismus”, “kleine Paschas” etc. aus der selbsterklärten “Mitte” hat dafür den Weg bereitet. So wurde die Entsolidarisierung mit ganzen Bevölkerungsgruppen eingeleitet.
Wir können verstehen, wenn sich manche denken, dass unsere Aufregung über diese eine, vermeintlich kleine und technische Maßnahme überzogen ist.
Aber es sind diese einzelnen Schritte, diese vielen einzelnen Maßnahmen, die die Rechtsverschiebung von Politik und Gesellschaft nach und nach, Stück für Stück zur
Realität machen. Es geht um Politik, die -selbst laut der eigenen Stadtverwaltung- mit Sachgründen kaum bis nicht begründbar ist. Um Politik, die nicht mehr die Verbesserung der Leben von Menschen zum Ziel hat. Sondern, wenn sich die Verantwortlichen wirklich ehrlich machen, nur der Gängelung, der Schikane, der Herabwürdigung einer einzelnen Gruppe dient. Weil es gerade populär scheint, auf diese Gruppe einzudreschen. Oder zumindest zu unpopulär, sich der Stimmungsmache gegen diese Gruppe entgegenzustellen und Haltung zu zeigen.
Aber wenn sich die demokratischen Kräfte dieser Entwicklung nicht mehr entgegenstellen, wer dann? Was heißt das für unsere Gesellschaft und die nächsten Jahre? Wenn selbst in einer Region wie Trier, wo die AfD keine reale Macht hat, im Stadtrat immerhin unter 10% geblieben ist. Wenn sich selbst dann die Demokratinnen und Demokraten unserer Stadt zu Mittäter*innen ihres Agendasettings machen?
Ja, es mag wie nur eine einzige, technische Maßnahme wirken. Aber sie ist Teil eines Ganzen. Teil der berühmten Schneeballdynamik, die zertreten werden muss, bevor sie eine Lawine auslösen kann. Wir wollen nicht von der Seitenlinie zuschauen. Wir wollen diese Entscheidung zum Anlass nehmen, um hier in dieser Stadt, unserem Trier, ein klares Stopp-Signal zu senden. Wir wollen den Verantwortlichen der Parteien unmissverständlich zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Dass wir eine andere Politik in unserer Stadt wollen. Eine Politik der Integration, statt der Ausgrenzung. Des Zusammenhalts, statt der Spaltung. Wir fordern die gewählten demokratischen Politiker*innen auf, besser zu sein und sich sachlich und vor allem mit mitmenschlicher, solidarischer Grundhaltung zu handeln. Hört auf, uns zu sagen, wessen Leben ihr wie schlechter machen könnt und präsentiert Lösungen, wie ihr unser aller Leben besser machen wollt!
Deswegen stehen wir heute hier: In Solidarität mit den Geflüchteten, den Betroffenen, den Sündenböcken.
Danke an die Organisator*innen, an euch, die hier mit uns zusammen stehen, und alle, die bei uns sind, auch wenn sie heute nicht hierher kommen konnten.
Freund*innenschaft!
(Nils Claasen, Vorstand Buntes Trier, Kundgebung „Nein zur Bezahlkarte“, 04.12.2024)
Sei kein Menschenfeind! Unterstütze unsere Petition gegen die Einführung der Bezahlkarte in Trier: openpetition.de/!wgvrd